— Orgelneubau —

 

Nach dem wir im Jahr 2016 gemeinsam mit dem Architekturbüro HHS Planer + Architekten AG aus Kassel den 1. Platz für den Entwurf und die Konzeption eines möglichen Orgelneubaus für die Heilig Geist Kirche in Hanau erzielt haben, wurden wir 2018 beauftragt dieses spannende Projekt zu realisieren.

Die Kirche Heilig Geist entstand 1961/62 nach Plänen des Architekten Johannes Krahn. Als Meisterschüler von Dominikus Böhm gehört er zu den Pionieren des Neuen Bauens im Bereich gemeindeorientierter Kirchen. Bekannt ist seine Neugestaltung der Frankfurter Paulskirche. Als Mitarbeiter von Rudolf Schwarz war er 1929/30 an der Planung der Fronleichnamskirche in Aachen beteiligt, die bereits jene an das Bauhaus anknüpfenden kubischen Strukturen zeigt, die auch das Erscheinungsbild von Heilig Geist in Hanau prägen.

Auf diesen architektonischen Gestus eine schlüssige gestalterische und zugleich orgelbautechnisch realisierbare Antwort zu finden, ist eine besonderes große Herausforderung. Orgelprospekte neigen zu turmartigen Strukturen; mit ihren aus Zinn hergestellte Frontpfeifen setzen sie in einem solchen Kontext (leicht zu) markante Akzente. Der großflächig für Orgelgehäuse gebräuchliche Baustoff Holz wirkt in dieser Umgebung womöglich fremd. Die Lösung bestand hier darin, sich das Prinzip des Passepartouts zu eigen zu machen: Die Orgel tritt nicht – wie gewöhnlich – als Körper im Raum in Erscheinung; vielmehr füllt sie die vorhandene Wandnische optisch und akustisch aus; sie dient zugleich dazu, den Klang zu bündeln und zu reflektieren.

Die durchbrochenen Stahlbleche der Orgelfront harmonieren in ihrem Charakter und in ihrer Farbgebung mit dem Beton- und Bruchsteinbau. Somit setzt die Orgel die gegebenen Grundstrukturen Kubus, Quadrat und Fläche bruchlos fort; ihr Äußeres verwendet zeittypische Materialien. – Ein Arbeitsplatz aus Metall für Organisten wäre dagegen rein haptisch undenkbar. Durch den von der Orgelwand abgerückten, leicht erhöhten, holzsichtigen Spieltisch gelingt eine plausible Vermittlung zum Kirchengestühl. Das Chassis und die Verkleidung der Orgelbank bilden wiederum kubische Formen.

Hanau Heilig-Geist Orgelneubau

 

Kongeniale Synthese von Raum, Fläche und Ausstattungsgegenstand

Als meist größtes Ausstattungsstück von Kirchen ist eine Orgel in der Regel ein eigenständig geplanter Körper im Raum, ein „Haus im Haus“. Hier wurde dagegen die etwas spröde anmutende, flächige Innenraumgestaltung zum Ausgangspunkt für die Planung des Instruments; der Bau birgt die Orgel. Durch die Nischenstellung wurde das Prinzip „Orgelgehäuse“ gleichsam umgekehrt und zu einem „Raum im Raum“ gewandelt. Damit wurde die kubische Struktur invers aufgegriffen. Die großzügige Ebene der Orgelfront setzt die benachbarten, schlichten Wandflächen fort und variiert sie in der Optik und mit ihren Durchbrechungen. Die Betrachter werden dadurch darauf aufmerksam, dass sich eben hinter dieser besonderen Fläche im Raum etwas Kostbares befindet. – Die senkrechten Schlitze lassen einzelne Orgelpfeifen als leuchtende Elemente durchscheinen und erinnern in ihr Längsform selbst an Blasinstrumente. Verschwanden Orgeln in vergleichbaren Kirchen entweder hinter nichtssagenden Paravents oder gerieten zu unmotivierten „Möbeln“, die der Ruhe eines so schlichten Raumes abträglich sind, bewirkt dieses innovative Konzept eine einzigartige Kongenialität von Raum, Fläche und Ausstattungsgegenstand: Die Musik ist zu ahnen, tritt aber nicht plakativ in den Vordergrund. Schwer in eine ansprechende Prospektgestaltung integrierbare technische Elemente wie etwa die Jalousien des Schwellwerks gehen unsichtbar in der Gesamtarchitektur auf. – Der Abstand mit seiner Schattenfuge zum Spieltisch sowie dessen kontrastierende Optik betonen, dass die Musik erst durch die Menschen zum Leben erweckt wird, die die Orgel spielen.

 

Hanau Heilig-Geist Orgelneubau

 

Außergewöhnliche Materialwahl für das Orgeläußere

Schließlich ist es besonders schwierig, im zeitlichen Abstand von 60 Jahren einem architektonisch geschlossenen Ganzen eine so starke neue Komponente hinzufügen. Diese Diskrepanz konnte hier dadurch überwunden werden, dass für die Orgelfront Stahlbleche verwendet wurden – ein absolutes Novum in der zweitausendjährigen Geschichte der Orgel. Die Ausführung der haptisch wichtigen Elemente in Holz repräsentiert dagegen das inzwischen gegenüber der kühlen Sachlichkeit in den 1960er-Jahre stärkere Bedürfnis nach „wärmeren“ Oberflächen. Die Kombination dieser Materialien ist ein weiteres Alleinstellungsmerkmal dieser Orgel und verbindet hier zwei geradezu diametrale ästhetische Strömungen.

Hanau Heilig-Geist Orgelneubau

 

Verschmelzung scheinbarer Gegensätze:
Erscheinungsbild des 21. Jahrhunderts und klassisches Musikinstrument

Niemand würde hinter einer Fläche aus Stahlblech eine durch und durch klassisch gebaute Orgel vermuten, wie sie auch von Silbermann oder Schnitger vor rund 300 Jahren hätte geschaffen werden können. Genau dies ist aber mit der neuen Konzeption in Hanau gelungen – ohne dass die Geschlossenheit des Kirchenraums beeinträchtigt oder die Konstruktion der Orgel erschwert wäre.